Aus der Osterzeit.

Humoreske von Georg Paulsen
in: „Altenaer Kreisblatt” vom 28.3.1896,
in: „Ohligser Anzeiger” vom 31.3.1896,
in: „Bergischer Sonntags-Anzeiger” vom 5.4.1896,
in: „Velberter Zeitung” vom 9.4.1896


Hui! Wie ein Lauffeuer war's durch die ganze Stadt gegangen, die große, kaum zu glaubende Nachricht, daß der Herr Rentier Hornbiegel, ein gewaltiger Nimrod, auf der Schnepfenjagd einen fremden jungen Herrn, der aus Zufall ins Revier gekommen war, angeschossen hatte.

Alle Welt sprach davon, Niemand achtete auf den werdenden Lenz, der aus den Millionen treibender Blättlein, aus Veilchen und Schneeglöckchen, aus dem lustigen Gezwitscher des kecken Fink sprach. Frühling war alle Jahre, aber daß ein Mann, wie Rentier Hornbiegel, der von anno 1870, wo er als Landwehrmann vor Straßburg und Belfort gelegen, das Eiserne Kreuz besaß, einen Menschen beinahe mausetodt geschossen hatte, das war nicht alle Jahre da.

Einige sagten, der Fremde sei so schwer verwundet, daß er überhaupt nicht wieder genesen dürfte; zum Mindesten werde er einen Arm oder ein Bein verlieren. Die Anderen behaupteten, die Wunde habe die Lunge verletzt, schwindsüchtig werde er also sicher werden; denn Lunge und Schwindsucht lägen dicht bei einander. Alle aber behaupteten, Rentier Hornbiegel, wenn es ihm nicht gar an Leib und Leben ginge, werde für eine Reihe von Jahren doch ins Zuchthaus mussen. — — —

Um ihn brauchte man ja keine Thräne zu vergießen, aber seine Frau und seine Tochter, die arme Eva, die freilich immer die Nase sehr hoch getragen haben sollte. Eigentlich schadet ihr eine Strafe nicht, aber als Christ mußte man die weiblichen Mitglieder der Familie Hornbiegel bemitleiden.

Und so ging denn die Thürglocke bei Hornbiegels von früh bis spät, so stark war der Andrang der tröstenden Freundinnen, die auch ihrer lieben menschlichen Neugier Rechnung getragen wissen wollten, daß Hornbiegel den verbissenen Ausspruch that, er werde sein Gewehr mit Spatzendunst laden und es dem „Weibsvolk” zwischen die „Klatschmäuler” schießen.

Das war stark, sehr stark, aber die Aussichten auf das Zuchthaus verwirrten wohl Herrn Hornbiegel die Gedanken. Wie ihm zu Muthe war, ließ sich ja ausrechnen.

Herrn Zacharias Hornbiegel war nun allerdings nicht gerade rosig zu Muthe. Diese infame Jagdgeschichte. Zwei Tage vor Palmsonntag war’s gewesen, wo er zum letzten Male auf den Schnepfenstrich hatte gehen wollen. Ein altes Weib war ihm begegnet, er hatte sich nichts daraus gemacht, Hornbiegel war ein aufgeklärter Mann, und nun doch diese Geschichte!

Zum Haarausraufen war's! Als Herr Zacharias vor Belfort oft bis zu den Hüften in den kalten und nassen Laufgräben herumgewathet war, war ihm Alles Andere eher, denn rosig zu Muthe gewesen. Aber die Stimmung von damals war nichts gegen die heutige.

Vor zwei Wochen hatte er über das miserable Wetter getobt, welches immer wieder sein Podagra weckte, nun schimpfte er über den prächtigen Frühlingssonnenschein, der ihm die Nase kitzelte.

Wie war's mit dem dummen Schuß doch gekommen? Er rieb die Stirn, aber fand's nicht heraus. Er glaubte fest sein Wild vor dem Rohre gehabt zu haben, da auf einmal nach dem Schusse ein Aufschrei, ein junger Mann stand vor ihm, der nun seinen Rock abwarf, unter dem sich auf dem Hemdärmel rothe Blutstecken zeigten.

Hornbiegel hat Allerlei gesprochen, aber der Getroffene hatte ihn beruhigt, die Sache sei nicht sehr gefährlich, er sei Mediziner und könne also den Fall beurtheilen.

Mit seinem Taschentuch verband er die Wunde, Hornbiegel half mit zitternden Fingern, und als er nun weiter fragen wollte, rollte gerade der gelbe Postwagen heran, der in die Berge führte, und schnell war der Fremde im Wagen. Fort war er mit ein paar lustigen Abschiedsworten und ließ Herrn Zacharias mit seinen Sorgen zurück.

Mit seinen Sorgen: Die von Tag zu Tag großer wurden! Wenn er nur gewußt hätte, wer der Fremde war. Er war jenseits der Berge zu Hause, weil er mit der Post dorthin fuhr, aber wer war’s? Wenn nun doch die Wunde schwer war, wenn's zur Anzeige kam, zur Gerichtsverhandlung? „Ja, mein lieber Herr Hornbiegel, so ein fünf Jährchen wird's wohl setzen!” so meinte neben ihm gerade die Frau Amtmann.

Da ward's ihm heiß im Kopfe, rothe Flecke tanzten vor seinen Augen, er rannte hinaus. Sonnabend war's vor dem heiligen Osterfest, im Garten war der Rasen grün geworden, über dem Gesträuch lag ein grüner Duft, und der Fink schlug.

Alles war so licht und lebensfroh, auch in die betrübte Seele des Herrn Hornbiegel kam etwas, wie leise Hoffnung.

Vor ihm stand sein Töchterchen mit glänzenden Augen. Wenn jene erste Eva der anmuthigen Eva Hornbiegel Konterfei gewesen, dann ward's nicht wunderbar, daß dort gar mancherlei geschehen war.

„Papa, wie geht's?” — „Besser Kind. Aber ich seh' noch immer keinen Ausweg aus der Patsche. Wenn ich, zum Kuckuck, blos wüßte, welcher Teufelskerl, welches Unglückskind wollte ich sagen, mir da gerade in meinen Schuß gelaufen ist! So unangenehm es mir gewesen wäre, wenn die Geschichte in die Zeitungen gekommen wäre, aber beinahe möchte ich es, man erführe doch dann, wen ich angeschossen. Und dann könnte die Sache geordnet werden. Auf eine Hand voll Thaler soll's mir nicht ankommen!” schloß er seufzend.

„Ich wüßte da Rath, Papa,” meinte Eva, sich halbabwendend. „Als ich vor einigen Wochen bei Deinem alten Freund und Kriegskameraden Berger drüben zu Besuch war, war gerade sein Sohn — der Assistenzarzt in Berlin ist — nach Hause gekommen. Er will sich nämlich in unserer Gegend niederlassen.”

„Meinetwegen!” brummte Hornbiegel. — „Ich meinte ja nur,” fuhr Eva eifrig fort,„Du könntest Herrn Berger, der sich Dir in diesen Tagen vor — vor — stellen will, bitten, sich einmal zu erkundigen, was der Mensch ist, den Du geschossen hast. Das würde Niemandem auffallen.” — „Richtig, das geht!” meinte Hornbiegel.

„Eva, die Frau Amtmann will Abschied nehmen!” rief Frau Hornbiegel vom Hause her, und das Mädchen verschwand.

Herr Zacharias stand in halb heiteren, halb finsteren Gedanken an seinem Gartenpförtchen, an welchem die Heerstraße vorüberging. Was wohl nun werden würde?

„Guten Tag, mein Herr!” klang da eine frohe Stimme. Hornbiegel schrak empor, und als er den jungen Mann vor sich sah, den er im Walde geschossen, riegelte er in größter Aufregung, die ihm nicht mal Worte gestattete, das Gartenpförtchen auf, zog den Fremden in den Garten, und betrachtete und befühlte seinen Arm, um sich zu überzeugen, daß nun Alles wieder gut.

„Haben Sie keine Sorge, es ist Alles wieder heil und ganz!” lachte der Fremde,„Sie können ganz beruhigt sein. Aber Sie kennen mich noch nicht, hier meine Karte, ich bin —”

„Mein Freund sind Sie, Sie Tausendsassa,” rief Hornbiegel überströmend, von einer schweren Last erleichtert aus, „und nun giebt's keine Ausrede, Sie müssen mein Gast sein, damit meine lieben Mitbürger und vor allem die Mitbürgerinnen Sie sehen; das Gewäsch, das ich in dieser Woche habe anhören müssen, hat mich beinah verrückt gemacht!”

„Mit Dank acceptirt, Herr Hornbiegel!” antwortete der junge Mann, „aber vorher habe ich Ihnen noch mitzutheilen, daß ich noch ein Anliegen, einen Herzenswunsch an Sie habe, dessen Erfüllung ganz von Ihnen abhängt.”

„Von mir abhängt? Eh, eh, Sie Tausendsassa, gewiß kleine finanzielle Bedrängniß? Nun, das ist bei jungen Leuten nichts Außergewöhnliches, ich weiß auch, wie die Dinge liegen, und was man ausgeben kann, wenn man jung ist!”

„Sehr freundlich, Herr Hornbiegel, aber — Ihr Fräulein Tochter —”

„Meine Tochter? Richtig, da ist sie! Eva, tritt an, ein junger und lieber Freund von mir . . .”

Eva kam leichtfüßig heran, ein heller Freudenruf: „Fritz!” — „Evchen!” und die beiden jungen Leute hielten sich umarmt, während Hornbiegel dabei stand, und die gewichtigen, freilich wenig salonfähigen Worte, die bei ihm das Zeichen äußerster Ueberraschung waren, vor sich hinmurmelte: „Nun wickel mir Einer die Fußlappen.”

Die beiden jungen Leute hatten sich aber schon gefaßt.

„Papa, das ist er!” rief Eva freudestrahlend.

„Scheint mir so!” war die trockene Antwort, „aber wer ist dieser „Er”?”

„Aber, Herr Hornbiegel, Sie halten ja meine Karte noch zwischen den Fingern,” lachte der junge Mann, „aber es sei wiederholt: Dr. med. Fritz Berger, der Sohn Ihres alten Kriegskameraden — —”

„Von dem ich vorhin sprach und den ich bei Onkel Berger neulich sah!” schloß Eva. „Und, Papa, was sagst Du nun?”

Zacharias Hornbiegel war ein Mann von kurzen Entschlüssen, dieser Schwiegersohn wäre ihm auch so hochwillkommen gewesen, und nun war es noch„der Mann mit dem Schuß.”

„Papa, was sagst Du nun?”

„Bind Deinen Zukünftigen fest an's Schürzenband, damit er mir nicht wieder vor's Gewehr kommt!” Und er schüttelte dem Bräutigam herzlich die Hand.

Schon am zweiten Osterfeiertage aber gab es große Verlobungsfeier, wenn auch die Vorbereitungen dazu mit äußerster Mühe zu erledigen waren.

Zacharias Hornbiegel aber rühmte in einer Weinlaune sich selber als einen Vater und Waidmann, der, was sonst schwer gelinge, einen Schwiegersohn zur Strecke gebracht habe.

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